Freitag, 26. Juni 2009

Dr. Jürgen Glocker Rede auf Stefan Bergmann, Haus Salmegg, 24.V.2009

Wir bestehen aus Vergangenheit, Zauber und Mythos... Die Meister der Vergangenheit sind für mich ein natürliches Gegenüber... Sie sind ständig anwesend und also Gegenwart... Tizian sitzt neben mir...

Das sagt Johannes Grützke, dem die diesjährige Sommerausstellung in Schloss Bonndorf gilt. Ganz ähnlich könnte das aber auch Stefan Bergmann gesagt haben.

Es gehört zum fragwürdigen Ton vieler Sonntagsreden, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit einem Vers von Rainer Maria Rilke zu beginnen. Ich tue es dennoch, denn in diesem Fall ist es angemessen und richtig, und ich verweise auf eine Strophe von Rilkes Gedicht Erinnerung, die ich Ihnen jetzt vorlese:

Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.

Diese Ausstellung, die wir heute gemeinsam eröffnen, konfrontiert uns auf Schritt und Tritt mit Visualisierungen von Erinnerung und Gedächtnis. Mnemosyne, so der Titel eines Werkes in dieser Präsentation: Das ist die als personenhafte Göttin geschaute Erinnerung, ist also letztlich die Personifikation der Erinnerung, als Göttin jedoch ist sie frühester diviner Adel, gehört sie der ältesten Olympiergeneration an und ist die Tochter des Uranos und der Gaia, zugleich freilich – sinnfälligerweise – die Mutter der Musen.

Die Korrelation von Erinnerung und Musen, Erinnerung und Kunst klingt übrigens auch noch in Uwe Tellkamps Roman Der Turm an, wenn dort eine Spieluhr, die die vergangene, die verlorene Zeit gespeichert hat, spielt (ich zitiere): „Dresden..., in den Musennestern / wohnt die alte Krankheit gestern...“ Das Vergessen, die Erinnerung und die Kunst, das wissen wir nicht erst seit Marcel Proust, gehören unmittelbar zusammen.

In dieser Ausstellung, gibt es ein Schlüsselbild, das zugleich diesen Titel Schlüsselbild trägt, und es trägt ihn zu recht. Die Arbeit, von der ich spreche, gehört zu Bergmanns jüngster Werkschicht, misst 45x65 cm, und zeigt eine Hand, die tatsächlich einen Schlüssel hält.

Man könnte es vielleicht dabei bewenden lassen, dass das Bild sehr gut gemalt, dass es ein ausgezeichnetes Stück Malerei ist, und könnte konstatieren: Die Hand ist eine Hand, und der Schlüssel ist ein Schlüssel, that’s it, und könnte zur Tagesordnung übergehen. Wie denn Stefan Bergmann ohnehin gern zu einem gewissen Understatement neigt, wenn er sagt, bei ihm seien die Motive letztlich nebensächlich, er male eine Stimmung, die monochrome Malweise und die Farbstimmung seien das eigentliche Thema, die Bildgegenstände aber letztlich nicht mehr und nicht weniger als das konstruktive Mantra des Malers und des Betrachters, an dem sie sich festhalten könnten.

Man kann freilich auch die sympathische Bescheidenheit des Künstlers einmal beiseite lassen und fragen, was denn den allfälligen Schlüsselcharakter dieses Bildes ausmacht, denn einer Laune dürfte sich sein Titel wohl kaum verdanken.

Als Stefan Bergmanns Arbeiten im vergangenen Jahr in einer großen Ausstellung in Schloss Bonndorf zusammen mit Werken von Horst Antes gezeigt wurden, war nicht zu übersehen, dass man es dort mit zwei Oeuvrekomplexen derselben Höhenlage zu tun hatte. Wichtiger aber als die Erkenntnis, dass sich dort zwei Künstler auf Augenhöhe begegneten, war der Umstand, dass bei beiden Beteiligten eine gleich laufende Bewegung hin zum Menschen zu diagnostizieren ist, obwohl – prima vista – der Mensch in der Bildsprache beider Künstler ausgespart bleibt, hat doch Horst Antes seit dem Beginn der 1980er Jahre, seit dem Falkland-Krieg, die Arbeit an seinen Kopffüßlern gänzlich aufgegeben.

Antes’ archetypisch vereinfachte Häuser und seine T-Shirts, die in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten entstanden, sind – verkürzt gesagt – nichts anders als Chiffren, als Hüllen menschlicher Existenz, Umhüllungen menschlicher Körper, und verweisen auf unser Sein, auf uns, auf die conditio humana. In Bonndorf wurde in dieser Nachbarschaft erkennbar, wie, neben aller malerischen Pracht und Prägnanz, die von Antes’ lakonischer Diktion denkbar weit entfernt ist, Stefan Bergmanns Blusen, die hier im Haus Salmegg gezeigt werden, gelesen werden sollten: Auch sie sind unter anderem Chiffren, auch sie sind Hüllen, auch sie verweisen auf uns, auf des Menschen Zeit. Aber sie erinnern auch, aus der Perspektive des Malers, an bestimmte Menschen, sind Bestandteil einer privaten Mythologie, Ikonologie.

In den letzten Jahren hatte ich mehrfach Gelegenheit, mich mit Stefan Bergmanns Werk auseinander zu setzen, und durfte dabei wahrnehmen, wie da ein Künstler konsequent seinen Weg geht, ein Künstler, für den – nebenbei bemerkt - der Weg selbst, das Malen als ein nahezu ritueller, kontemplativer Akt mit im Vordergrund steht und der seine Arbeiten häufig mit ursprünglich sakralen Elementen und Zeichen unterlegt, gleichzeitig aber auch – um mit Goethe zu sprechen - mit Bruchstücken einer großen Konfession, eines privaten Mythos anreichert. Wie ich das meine, möchte ich Ihnen anhand einiger weniger Aspekte von Stefan Bergmanns Bildsprache verdeutlichen, die sich, in guter abendländischer Tradition, auf den mehrfachen Schriftsinn versteht, der Doppel- und Mehrfachbelegungen nicht nur zulässt, sondern geradezu fordert.

Nehmen wir z.B. Bergmanns Löffelmotiv, das auch in dieser Ausstellung präsent ist, und seit vielen Jahren in unterschiedlichen Konstellationen und Prägungen immer wieder begegnet.

Der Löffel verweist nicht nur auf den religiös-kultischen Bereich, sondern gehört gleichzeitig in den Kontext von Bergmanns Familiengeschichte, zu seinem Privatmythos. Der Löffel seiner Löffelbilder und anderer Stilleben ist das symbolische Abbild jener Löffel, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs übrig blieben vom großbürgerlichen Familienbesitz in Sachsen und die auch noch die Flucht von Ost- nach Westdeutschland überstanden und heute im Atelier des Malers, Fetischen gleich, zusammen mit anderen familiären Reliquien einen Ehrenplatz einnehmen.

Anderes kommt freilich hinzu: Der Löffel war bekanntlich lange Zeit das einzige Gerät, das der Mensch zur Nahrungsaufnahme nutzte, soweit er sich nicht, wie es bis ins 17, Jahrhundert hinein die Regel war, lediglich der Finger und gelegentlich des Messers bediente. Der Löffel begegnet uns in der Kulturgeschichte u.a. als Symbol der Lebensspende und der Gesundheit. Der Löffel meint Nahrung, meint Leben. Eine Wendung wie “Den Löffel abgeben“ ist aus sich selbst heraus verständlich - auch wenn sie einen konkreten benediktinischen Hintergrund besitzt, der an die letzten Dinge rührt. Und die Fügung „Seine Suppe auslöffeln müssen“ demonstriert gleichfalls, dass der Löffel existenziell konnotiert ist. Das Ei schließlich, das auf einigen von Stefan Bergmanns Löffelbildern begegnet, ist das Fruchtbarkeitssymbol schlechthin, steht für die Quelle des Lebens, für die Entstehung des Lebendigen aus dem Leblosen, für den Urgrund der Welt.

Viel ließe sich anführen, wollte man zeigen, dass Stefan Bergmanns Löffelserie kult- und kulturgesättigt ist. Dennoch sollte man auch zur Kenntnis nehmen, wie unüberhörbar sich Bergmanns Fähigkeit zur ironischen Distanzierung zu Wort meldet. Dazu mahnt etwa ein Bild mit dem zweideutigen Titel „Götterspeise“.

Ich will aber nicht in Abrede stellen, dass Bergmanns Löffel darüber hinaus aber auch ganz einfach Bilder der Kontemplation sind. So wie die dargestellten Löffel den Werken ästhetischen Halt zu vermitteln vermögen, sie konstruktiv verankern, so können auch die Werke selbst dem Auge des Betrachtern Halt geben, laden sie mit ihrer multichromen Monochromatik doch ein zur optischen Arbeit, zur Versenkung in Farbe und Form, denn sie repräsentieren bis zu einem gewissen Grad auch ein Stück Malerei als Malerei und zielen auf die geduldige Erforschung der Materialien, Techniken, Verfahrenweisen und Wirkungen des Malens. Wer weiß? Vielleicht kann man, als nichtinformierter Betrachter tatsächlich mit einem gewissen Recht auch sagen: That’s it!

Sie sehen: Die eine Deutung steht neben der anderen, Sinn legt sich auf Sinn, Bedeutungsschicht über Bedeutungsschicht. Der scheinbaren gegenständlichen Eindeutigkeit tritt eine geradezu verwirrende Bedeutungsvielfalt gegenüber.

Lassen Sie mich an dieser Stelle bitte noch einmal auf Bergmanns Schlüsselbild zurückkommen, das vergleichsweise einfach zu lesen ist.

Die Hand ist vielleicht die Hand des Malers, oder sie ist die der Blusenträgerin, sie kann aber auch, von Dürer bis Antes, als pars pro toto für den Menschen und sein Handeln stehen, der konkrete Schlüssel dort auf dem Bild ist jedenfalls, so habe ich mir sagen lassen, der Schlüssel zu Stefan Bergmanns Atelier und gehörte zu dessen Tür, zu diesem Zimmer und zu diesem Haus, als es den Maler und sein Atelier noch längst nicht gab, und das Anwesen sich noch im Besitz des Stiftes Säckingen befand, weshalb es nicht überrascht, dass, mit ein wenig Phantasie, auf dem Schlüssel Kugel und Kreuz zu erkennen sind. Vor allem aber, und vor allem das rechtfertigt den Titel, gibt uns diese Arbeit einen Schlüssel zum Umgang mit Stefan Bergmanns Bildern an die Hand, zu seinem Spiel mit der historischen, mythischen und privaten Erinnerung, mit changierenden Zeichen, mit dem mehrfachen Schriftsinn, der Türen zu öffnen vermag, die in ganz verschiedene Richtungen führen.

Es gibt einige wichtige Künstler und Schriftsteller, die salopp formuliert, als junge Menschen, sagen wir: bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr, gelebt haben und dann damit begannen, Erinnerungsarbeit zu leisten, sich an ihr Leben zu erinnern, die Wege ihrer Jugend immer wieder aufs Neue abzuschreiten und, sich erinnernd und sich vergewissernd, ein ums andere Mal künstlerisch zu gestalten. Gustave Flaubert und vor allem Marcel Proust zum Beispiel waren solche Autoren.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es geht nicht darum, Stefan Bergmann auf die Ebene der Weltkunst zu zerren, aber im Grunde ist seine künstlerische Verfahrensweise der Ästhetik der genannten Schriftsteller durchaus verwandt. Immer wieder schreitet er die Depots seiner Vergangenheit ab, immer wieder ruft er die Erinnerungen an die verschwundene, verlorene Zeit auf, und arbeitet an diesen Erinnerungsbildern, entwickelt sie weiter zu einer jeweils neuen, realen Präsenz.

Dies gilt nicht zuletzt für die Hochzeitsreise, die seine Frau und ihn nach Sri Lanka führte. Daher beispielsweise die Bilder vom Meer, die weiblichen Rückenportraits und die Blusen, die sogenannten Choli, an denen Stefan Bergmann in letzter Zeit gemalt hat. In Bergmanns Werk gibt es im Grunde zu keinem Zeitpunkt etwas Neues, es gibt immer nur– wie im Mythos - l’eternelle retour, die ewige Wiederkehr, das immer wieder frische Heraufbeschwören und die neue Interpretation des Vergangenen, einer wie auch immer gearteten historischen, einer mythischen, einer privaten Vergangenheit. Wir bestehen aus Vergangenheit, Zauber und Mythos.

Stefan Bergmann ist ein umtriebiger Mensch. Als junger Mann ist er viel gereist, um nach seinen Wurzeln, vor allem seinen geistigen Wurzeln zu graben, im Mittleren und im Fernen Osten war er vor allem unterwegs, in Ägypten, im Libanon, in Jordanien und im Zweistromland, in Indien, Nepal und Japan, er lernte Buddhismus und Hinduismus kennen, lebte eine Zeitlang in einem Zen-Kloster und forschte nach den Ursprüngen der Religionen, begann, sich mit magischen, alchemistischen und esoterischen Praktiken zu befassen.

Auch heute noch reist Stefan Bergmann, inzwischen allerdings vor allem im Kopf, will sagen: er liest und forscht, es dämmern im Bücherständer/ Die Bände in Gold und Braun, Bergmann beschäftigt sich mit Geistes-, Kultur- und Kunstgeschichte, und du denkst an durchfahrene Länder/ An Bilder, an die Gewänder/ Wiederverlorener Fraun, Bergmann setzt sich insbesondere mit der Geschichte des Stillebens und der Sprache auseinander, die diese Gattung nicht zuletzt im 17. Jahrhundert ausgebildet hat.

Seine Natures mortes sind ohne diesen Hintergrund nicht denkbar und auch nicht angemessen zu verstehen. Seine Weintrauben etwa wachsen ganz in der Nähe der Weintrauben aus dem Hohelied Salomos: Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum, heißt es da, deine Brüste gleichen den Weintrauben. Ich will auf den Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Laß deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und den Duft deines Atems wie Äpfel; laß deinen Mund sein wie guten Wein, der meinem Gaumen glatt eingeht und Lippen und Zähne mir netzt.

Ähnlich verhält es sich mit Bergmanns Vanitas-Motiven, den Weingläsern etwa, den Würfeln oder den Nussschalen, die die Vergeblichkeit und Vergänglichkeit alles Menschlichen ins Bild rücken. Gerade die Vergänglichkeit ist es jedoch, die die Erinnerung und mit ihr ihre Tochter, die Kunst, so wichtig macht. Was bleibet, stiften nicht nur die Dichter, sondern eben auch die Künstler.

Stefan Bergmann wurde in Radeberg bei Dresden geboren und studierte an der Staatlichen Hochschule der Bildenden Künste in Karlsruhe, zuletzt als Meisterschüler von Horst Antes, mit dem er seit langem befreundet ist. Ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschsdienstes führte ihn zu einem Post-Graduate Studium an das Royal College of Art in London, das sich als Sprungbrett für eine internationale Karriere erwies. Heute lebt Stefan Bergmann zurückgezogen im Hotzenwald, und wir können froh sein, dass wir diesen Künstler in Südbaden haben. Ich wünsche seiner Ausstellung im Haus Salmegg viel Erfolg und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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